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Demokratie ohne Demos ?

 

Demokratien sind fragile Gebilde, solange man sie nicht hegt und pflegt. Zu beobachten ist das schon seit geraumer Zeit. Für die Bürger eingerichtet und immer wieder reformiert wurde sie seit der Entstehung und ersten Ideen in der Antike. Die Antike ist längst vergangen, aber die Notwendigkeit an Reformen zu arbeiten nicht. Wer hätte gedacht, dass wir uns so lange mit der Verbesserung einer Idee herumschlagen würden, die eigentlich doch so naheliegend und einfach zu begreifen ist. Man kann eine Herrschaft nicht über die Köpfe der Beherrschten hinweg installieren und aufrecht erhalten. So viel ist klar. Weniger klar, da etwas komplizierter, ist die konkrete Ausgestaltung. Mitspracherechte haben bereits Kinder in ihren Familien: es wird nicht immer gegessen was auf den Tisch kommt. Das ist gut so, denn das eröffnet Wege für Kreativität und Einfallsreichtum. Die Abwechslung, die es im täglichen Leben braucht, erfordert manchmal Anstrengung und das Verlassen eingetretener Pfade. Erst dann entdeckt man Neues, Spannendes und vielfach sogar Ungewöhnliches. Wer A sagt muss noch lange nicht B sagen, daher die Einschränkungen hinzunehmen, die A mit sich bringen kann, ist nicht zwingend notwendig. Für seine Rechte aufzustehen und auf die Straße zu gehen, ist des Bürgers gutes Recht.

Heutzutage mischen sich Verschwörungstheorien, Halbwissen und komplette Unwahrheiten auch dank social media unter die Leute. Jeder glaubt und nimmt das an, was in sein Weltbild so gerade noch hinein passt. Manchmal kommen dabei wunderliche Ansichten zum Vorschein. Wer seinen Kleingarten an Ideen auf diese Weise pflegt, braucht sich nicht zu wundern, wenn Unkraut wuchert, das nur schwer wieder aus der Welt zu schaffen ist. Nicht selten horcht man dann auch auf, wenn sogar Experten Meinungen zum Besten geben, die aus der Mottenkiste der Historie stammen und eigentlich längst vergangen geglaubt schienen. Wenn Großmächte ihre Machtspiele betreiben, kann man als Beobachter leicht die Annahme übernehmen, wir würden alle nur hinters Licht geführt, ausgenutzt oder als Versuchskaninchen vorzugsweise der Lebensmittel- und Pharmaindustrie, der Rüstungslobby oder der Kirchenoberen vorgeführt. Keine Frage: es gibt viel Übles und Schlechtes in der Welt, vor dem man sich zurecht schützen möchte. Das aber über den Weg von Allmachtsphantasien ausleben zu wollen, führt geradewegs in dieselbe Irre.

Meinungsbildung funktioniert über die zahlreichen Medien, die zur Verfügung stehen, aber eben auch durch eine solide Bildung, die Aufgabe der Kitas, Schulen, Universitäten und anderer Einrichtungen sind, für die nicht selten viel Geld ausgegeben wird (wenn auch insgesamt immer noch zu wenig). Das ist oft besser angelegt als so manche Aktie und kaum einer trägt Schaden davon, Bücher zur Hand zu nehmen, die den Horizont erweitern, ohne ihn gleich mit allerlei konfusem Gedankengut gleich wieder zu verdunkeln. Ob nun Esoterik-Boom oder Wirtschaftstheorien, die Suche nach Wunschpartnern oder allgemeine Glücksratgeber - alle sind sie geleitet von der Idee, das Leben der Menschen zu erleichtern, aber vor allem erleichtern sie deren Geldbörsen und Konten. Ein prall gefülltes Konto ist eine schöne Sache und dass Geld auszugeben gut tun kann, hat sich herumgesprochen. Den eigenen kritischen Menschenverstand zu schulen, dafür braucht es allerdings kaum Geld, sondern die Einsicht, dass man nur dann Herr im eigenen Haus bleibt, wenn man nicht jede modische Entwicklung für bare Münze nimmt. Auf der Klaviatur des Lebens gibt es viele schöne Melodien - nicht alle muss man mitsingen. Die schönste Melodie kann man indes nur selbst komponieren und dafür bedarf es nicht vieler Dichter und Denker, sondern nur etwas Phantasie und ein Gespür für das, was es braucht, um mitten im Leben zu stehen statt am Rande des Geschehens zu verweilen, weil es dort irgendwie alles kuscheliger und weniger riskant wirkt. Aber man ist ja ohnehin doch meist mittendrin. Die Kunst, die Wissenschaft und die Bildung fragen in erster Linie und gestalten natürlich auch, aber die Politik ist vorrangig damit beschäftigt zu machen und zu tun, auch wenn Sinn und Zweck manchmal gar nicht oder auf den ersten Blick auf der Hand liegen. Dass dadurch Konflikte generiert werden, liegt nah. Der Staat aber sind wir alle, von daher kann der Staat ohne uns nicht viel tun, auch wenn er gerne würde.

Das Buch, das uns hilft, all das zu verstehen, wurde noch gar nicht geschrieben oder ist eben in zahllose andere Bücher bereits eingeschrieben. Und jedes neue Buch baut noch darauf auf. Von daher sind wir alle die Dichter und Denker, die sich diejenigen gewünscht haben, die diese vielen Bücher schrieben, um die Welt zu erklären. Wer sie besser machen wollte, ist meist schon daran gescheitert, sie in Gänze zu verstehen. Wie nahezu unmöglich das ist, erleben wir jeden Tag aufs Neue in den Nachrichten, die sich wiederholen. Wer das verstanden hat, hat schon mehr verstanden als sie oder er glaubt. Wer glaubt schon, dass er denkt, wenn er denkt.

 

Devrim Karahasan