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New Age Gender

 

Wie gerecht ist es, im Fernsehen oder in Texten von JournalistInnen zu sprechen, um Frauen und Männer gleichermaßen zu meinen ? Andere Sprachen haben es da leichter, zum Beispiel das Englische: "Teacher" ist geschlechtsneutral und auch im Türkischen sind oft beide Geschlechter gleichzeitig gemeint. Das Französische hingegen unterscheidet zum Beispiel zwischen „maître“ und „maîtresse“. Es werden Stimmen laut, die behaupten, dass Deutschland der Gendergerechtigkeit (in der Sprache wohlgemerkt) zuliebe den Anschluss an die großen Forschungsnationen wie USA und UK verloren habe. Sprich: dass Sprachpolitik mehr Bedeutung beigemessen wird als den Inhalten. Ist da was dran ? Oder soll das von einer verfehlten Hochschulpolitik im Allgemeinen ablenken ? Beides geht wohl Hand in Hand. Es geht auch um Parität was die Ampelkoalition eindrücklich bewiesen und ausgerechnet durch die Neubesetzung des Amtes des Verteidigungsministers durch Boris Pistorius wieder torpediert hat. Einer Frau traut man es nicht zu ? Falsch, denn vor Christine Lamprecht bekleideten bereits Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer dieses Amt. Aber hilft es da von „Soldatinnen und Soldaten“ zu sprechen ? Bzw. bedeutet das automatisch mehr Respekt ? Echte Gendergerechtigkeit wäre eine, die die Unterschiede gar nicht macht oder unterstreicht, sondern gar nicht beachtet. Normalität, Respekt und Akzeptanz ist ja worum es geht. Bei Frauen wird auf die Kleidung geachtet, bei Männern ist es egal ?

Wer etwas über Gendergerechtigkeit sagt, macht sich im besten Fall zum Anwalt der Frauen. Zumindest kann sie ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Frauen diskriminiert werden. Aber ist es viel mehr als das ? Die Komödiantin Sarah Bosetti brachte einmal das Beispiel des Arztes, der deswegen so heißt, weil früher meist nur Männer diesen Beruf ergriffen. Inzwischen gibt es so viele hochqualifizierte Ärztinnen, dass man kaum glauben mag, dass Frauen das Medizinstudium einst verwehrt war. Darunter sind auch die Nachrichtensprecherin Susanne Holst und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mit der studierten Physikerin Angela Merkel hatten wir die erste Frau im Bundeskanzlerinnenamt, und das sechszehn Jahren lang. Kamala Harris ist sogar Vizepräsidentin der USA und damit einem der mächtigsten Länder der Erde, womit sie als sog. Mestizin dem Gründungsmythos der amerikanischen Nation zur Ehre gereicht. Und Queen Elisabeth II. war das dienstälteste Staatsoberhaupt und eine Monarchin, die den Commonwealth mit eiserner Hand repräsentierte. Christine Lagarde leitet die Europäische Zentralbank. Also alles perfekt ? Was fehlt den Frauen zu ihrem Glück ?

Der Gender-Paygap (Lohnlücke) liegt nach wie vor durchschnittlich bei circa zwanzig Prozent, innerhalb derselben Lohngruppen immerhin noch bei sieben. Und Geld regiert bekanntlich die Welt. Noch immer beteiligen sich zu wenige Männer an Kindererziehung und Haushaltsführung. Und noch immer gibt es hohe Armutsraten unter alleinerziehenden Müttern. Kassiererinnen, Erzieherinnen und Raumpflegerinnen heißen so, weil es meist Frauen sind, die diese Jobs ausüben. Jobs also, die immer noch zu schlecht bezahlt sind. Die Pflege der Eltern übernehmen auch Männer, doch sind Frauen dabei in der Mehrzahl. Frauen kümmern sich, stecken zurück, geben klein bei ? Zahlreiche Frauen in Aufsichtsräten und Vorstandsetagen singen zwar ein anderes Lied, doch wie wohl ihnen dabei ist, darüber sprechen die meisten kaum. Denn immer noch herrscht das Klischee der Rabenmutter vor, sollten sie denn Kinder haben. In politischen Ämtern gibt es aber tatsächlich so viele Frauen wie nie zuvor. Die Quote bleibt allerdings gering. 

Annegret Kramp-Karrenbauer hat bei Anne Will einmal gesagt, Männer würden nie nach der Kindererziehung gefragt. Warum eigentlich nicht ? Lieben sie ihre Kinder nicht oder nur nach Feierabend ? Was müsste der Staat tun, damit sich in der Genderfrage mehr ändert ? Alice Schwarzer und mit ihr zahlreiche andere Feministinnen haben die Frage der Gendergerechtigkeit bis zum Verdruss beackert. Und in der Tat: nur so hat sich Einiges geändert. Viele aber haben genau das als einfach nur noch nervig und kontraproduktiv empfunden. Gewalt gegen Frauen gibt es in der Tat immer noch und meist findet sie sogar in den eigenen vier Wänden statt. Der im Dunkeln munkelnde unbekannte Vergewaltiger, der unversehens aus dem Busch springt, ist immer noch die Ausnahme. Hilfsangebote gibt es viele, aber zahlreiche Einrichtungen sind überlastet. Frauenhäuser und Beratungsstellen wären froh, wenn sie genügend gutbezahltes Personal hätten. Und dass genau in so einem Job irgendwann die Nerven blank liegen, verwundert sicherlich niemanden.

Dass mehr Frauen Ingenieurinnen und Technikerinnen geworden sind, verdanken wir der Tatsache, dass die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) für sie zugänglicher und attraktiver gemacht worden sind. Soldatinnen dienen schon lange in Armeen und sind ein unverzichtbarer Bestandteil geworden. Das verwundert oder ärgert höchstens noch hartgesottene Konservative, die am überkommenen Familien- und Frauenbild festhalten wollen. Und natürlich Friedensaktivisten, die am liebsten gar keine Armeen am Werk sähen. Die Orientierung und das Festhalten an Vergangenem reicht dabei meist nur bis zum eigenen Tellerrand, denn wie bequem ist es doch, wenn die Ehefrau jeden Tag verlässlich für das Mittagessen sorgt ? Die immer noch schwere Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat mit dem Mangel an flächendeckender und qualitativ hochwertiger Ganztagsbetreuung und fehlenden Kitaplätzen zu tun. Binsenweisheiten, die längst zu verlässlicheren Lösungen hätten führen können. Und die durch die GroKo nicht umgesetzt werden konnten.

Frausein bedeutet so Vieles: Potentiale entdecken, die unter dem Mantel der (meistens eigenen) Vorurteile und fehlendem Zutrauen schlummern, aber für viele nicht ausgeschöpft bleiben. Weibliche Gestaltungsmacht kann Muttersein genauso sein wie Karrierepläne. Sie kann an Grenzen gehen und diese überschreiten. Dass Frauen oft die bessere Kommunikationskompetenz zugeschrieben wird, kommt nicht von ungefähr. Zickigkeit hingegen amüsiert meist nur das andere Geschlecht. Und was ist dran an der Schlauheit der Frauen und der Aggressivität der Männer ? An weiblichem Perfektionismus und an männlichem Pragmatismus ? Und an männlichem Einfallsreichtum und weiblichem Stolz ? Beides findet sich in beiden Geschlechtern, fraglos. Warum noch queer sein ? Doch wie oft kommt dennoch das Gefühl auf Frauen lebten auf der Venus und Männer auf dem Mars ? Wenn Männer sich fürs Stricken und Nähen begeistern und Frauen in den Kriegsdienst ziehen, werden die Rollenklischees auf den Kopf gestellt. Wenn Männer gebraucht und bewundert werden und Frauen Spaß haben wollen, prallen oft Welten aufeinander. "Girls want to have fun" (Mädchen möchten Spaß haben) könnte genauso gut ein Mann trällern. Und "Boys don´t cry" (Jungs weinen nicht) stimmt genauso wenig ausschließlich.

Der Christopher Street Day und viele andere Formate machen vor, dass diese Klischees so überholt sind wie der Hauswirtschaftsunterricht nur für Mädchen. Jungs machen genauso das, was ihnen Spaß macht. In der Politik konnte man sehr gut beobachten, wie Annalena Baerbock im Wahlkampf vorgelebt hat, dass sie sich mehr Aufbruch und Neugestaltung zutraut als ihre zwei Mitkonkurrenten ums Kanzleramt. Damit spricht sie vielen jüngeren Menschen aus der Seele. Doch selbst denen geht sie gar nicht weit genug. Dass eine Frau aber immer noch mehr Dinge anzupacken helfen könnte, die vielen Männern viel zu "heiß" wären, darf in der Tat vermutet werden. Angela Merkel hat genau das aber nicht vorgemacht, sondern sich an Altbewährtem orientiert. Dass sich das nicht bewährt hat, sehen wir inzwischen sehr deutlich. Ihre - man muss sagen "relative" - Visionslosigkeit haben viele Wissenschaftler bemängelt und dass sie nun sogar noch ein in vielen Fragen gespaltenes Europa hinterlässt, macht Merkels Rolle scheinbar unrühmlich. Die ihr dies allerdings vorwerfen verkennen offenbar, dass sie die Demokratie und Europa insgesamt dennoch gestärkt hat. Dass die neuen Nazis wieder im Aufwind sind und immer noch versuchen die Demokratie zu zerstören, wird Angela Merkel selbst auch zur Kenntnis genommen haben und nicht sonderlich erfreut darüber sein. Den Zeitpunkt für einen ehrenvollen Abgang hat sie dennoch leider verpasst und das dürfte am meisten sie selbst schmerzen. Denn auch lauter Ministerinnen zu ernennen und eine von ihnen nach Brüssel zu entsenden, reicht eben nicht, um Feminismus durchzusetzen. Wenn das denn überhaupt das Ziel sein kann. Außerdem wäre es etwas naiv annehmen zu wollen oder zu fordern eine einzelne Frau, sei sie noch so mächtig und vernetzt, könne die Welt um hundertachtzig Grad wenden.

Die Frauenquote weiter forcieren zu wollen, könnte allerdings ins Leere laufen. So sehr sie dabei helfen soll, Frauen sichtbarer und engagierter zu machen, so sehr schürt sie Vorurteile und Misstrauen. Im Sinne der allgemeingültigen universellen Menschenrechte bedeutet eine Bevorzugung aber konträr zum Grundsatz der Gleichberechtigung zu handeln. Frauen dürfen genauso Fehler machen wie Männer. Sie explizit in Ämter zu hieven, in die sie eigentlich aus welchen Gründen auch immer nicht wollen oder können, hilft aber genau nicht weiter. Sich beweisen zu müssen erzeugt Druck und Hohn und Spott sind der Kandidatin noch sicherer als ohnehin schon sobald sie sich einen Fehltritt erlaubt. Ach, wie schön ist Panama ! Normalität erzwingen zu wollen verhindert womöglich - vielleicht sogar höchstwahrscheinlich - , dass sie erzeugt werden kann. Die Quote hat Liberalität gefördert, ganz ohne Zweifel. Heute wirkt sie überholt. Und inzwischen hat eine Frau vor Gericht recht behalten, dass es unrechtens ist, wenn ein Mann mehr verdient, nur weil er besser verhandelt hat. Ein Lichtblick !

 

 

 

 

 

Devrim Karahasan
(26. November 2021/31. Januar 2023)