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Rassismus ohne Rasse ?

 

Seit langem schon beschäftigt sich die Wissenschaft mit dem Begriff "Rasse". Erst seit kurzem allerdings konnte sie nachweisen, dass er in Bezug auf Menschen irreführend und obsolet ist. Wenn man aber sagt "Rassen" als Zuschreibung für Menschen gäbe es gar nicht, da sie wenig Sinnvolles beizutragen hat in Debatten über Diskriminierung und Ausgrenzung, läuft man Gefahr zu den Leugnern des strukturellen Rassismus zu gehören. Was der Presseclub heute diskutiert hat, ist ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit selbst: Magst Du mich, kann ich Dir vertrauen, nimmst Du mich an? Wie schwer das Menschen oft fällt, hat jeder schon mal erlebt. Von daher stimmt es, dass die Zuspitzung auf den Slogan "Black lifes matter" (Schwarze sind wichtig) eine verkürzte Sichtweise auf das Gesamtproblem bedeutet. Hingegen ist es aber ein Truismus zu sagen, dass selbstverständlich jedes Leben zählt. Die Zwickmühle, in die man dadurch gerät, kann schnell zu dem Einwand führen, man favorisiere also das bequeme "Sowohl-als-auch" und entziehe sich somit der Problematik der weltweiten Unterdrückung von Schwarzen.

Längst hat sich herumgesprochen, dass "Negerkuss" genauso wie "Berliner", "Florentiner", "Hamburger" oder "Mozartkugel" als wenig schmeichelhaft gelten können auch wenn (oder gerade weil) man sie mit Genuss verspeist. Zumindest sagen das diejenigen, die zunächst damit anfangen wollen unsere Sprachen zu entrümpeln. Aber ist das zielführend ? Der gegenwärtige Vorschlag der schwarzen Bewegung zielt vielmehr darauf, die Strukturen, in denen wir leben, gerechter zu gestalten. Wie wichtig Sprache dabei sein kann, verleugnet niemand, der sich dessen bewusst ist, was sie anrichten kann wenn das dazugehörige Bewusstsein nicht sehr ausgeprägt ist. "Nigger" spaßeshalber, zum Beispiel im Gangsta-Rap, zu verwenden, ist auch unter Schwarzen oft geläufig und wird nicht unbedingt als Beleidigung empfunden. Bei "Neger" ist das schon wieder etwas anders. Die Sklaverei, die viele Schwarze erleben mussten, hat tiefe Wunden hinterlassen, die nicht ohne weiteres verheilen. Sie dann mit einem Begriff zu belegen, der genau aus dieser Tradition kommt, kann da hinderlich für eine Verständigung, ja manchmal einfach unpassend sein. An dieser Stelle sei aber dennoch des Humors des legendären David Chapelle gedacht (der genau das gekonnt auf die Schippe zu nehmen verstand...!).

Helene Bubrowski von der FAZ hat in der heutigen Diskussion im Presseclub eine sehr differenzierte, besonnene und ausgewogene Perspektive eingenommen. Denn es stimmt: Beschwerdeführer gibt es auch bereits bei der Polizei. Dass es noch zuviel Zurückhaltung gibt, diese Anlaufstelle zu nutzen, mag richtig sein. Und dafür kann es vielfältige Gründe geben, die rein gar nichts mit einer gegenseitigen oder einseitigen rassistischen Haltung zu tun haben müssen. Oft genug ist es tatsächlich so, dass viele nicht wissen, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, und wenn ja, viele den bürokratischen Aufwand oder die Konfrontation scheuen. Heißt das schon, dass wir von lauter Rassisten umgeben sind? Man könnte es sich einfach machen und sagen: Genauso wie jedes Leben zählt, ist eben jeder ein Rassist. Die, die absichtlich anderen schaden oder sie verbal und körperlich angreifen, und auch diejenigen, die sich gar nicht bewusst sind, dass sie diskriminieren.

Es gibt unzählige Beispiele von Polizeigewalt gegen Schwarze auf der Welt. Jeder Fall ist einer zu viel, denn durch mehr oder bessere Deeskalationsmaßnahmen, Mediation und Schlichtung hätte sich jeder einzelne davon verhindern lassen - soviel kann man festhalten. Von daher ist es nicht absurd, Studiengänge oder Fachrichtungen so weit auszudifferenzieren, dass man das "Polizieren" in den Lehrplan, auch von Polizeiakademien und -schulen, aufnimmt, an denen es das noch nicht gibt. Dieser Vorschlag von Hadija Haruna-Oelker verdient von daher Beachtung und ist es in jedem Fall wert aufgegriffen zu werden. Auch Polizisten lernen entgegen ihrem oft schlechten Image bei so manchen immer wieder gerne und bereitwillig dazu. Ein bekannter Witz lautet folgendermaßen: Wie nennt man einen schwarzen Piloten ? Antwort: Pilot. Die Zeit, die man zum Beantworten und Nachdenken benötigt, nennt man Rassismus.

Alexander Kisslers Widerspruchsgeist in allen Ehren: die Standarte des Intellektuellen hochzuhalten, der alles mit einem kritischen Auge betrachtet und sich nicht lumpen lässt, ist ehrenwert. Doch manchmal ist es gar nicht verkehrt, sich seiner eigenen Schwächen erst bewusst und dann Herr zu werden, indem man über seinen Schatten springt auch dort wo nicht vertrautes Gelände ist. Keine Frage - die Debatte wimmelt manchmal von Widersprüchen, die es zu entwirren gilt, und das gelingt Kissler in der Regel sogar sehr gut, zum Beispiel mit dem Hinweis, dass in Berlin es oft auch die Polizisten selbst sind, die angegriffen werden, und es inzwischen in manchen Stadtteilen ganze No-Go-Areas gibt. Nur hatte Hasnain Kazim recht als er sagte, dass wir Mäxchens Fehlverhalten nicht dadurch entschuldigen können, dass auch Fritzchen dasselbe an den Tag legt.

Die Debatte in Deutschland ist nun nach den USA seit geraumer Zeit eröffnet und eine der Erfolgsgeschichten ist die von Aminata Touré, die seit August 2019 Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages ist. Viele weitere solcher Meldungen werden noch folgen und wir können nur hoffen, dass nicht nur die Betroffenen selbst, sondern alle das Beste daraus machen.

 

Devrim Karahasan